Kola-Highway

Die „Kola“ führt auf rund 1600 Kilometern von St. Petersburg, an Europas größten Seen, dem Ladoga- und Onegasee vorbei, über den nördlichen Polarkreis, über Murmansk und die Barentssee bis zur norwegischen Grenze, von wo es nur noch einen Katzensprung nach Slettnes, dem nördlichsten Straßenpunkt des europäischen Festlandes ist.

Die deutsche und die englische Übersetzung des russischen Zollformulars haben eins gemeinsam: sie sind gruselig schlecht. Dass sich der Inhalt mancher Fragen in beiden Versionen in nicht unerheblichen Details unterscheidet, macht es nicht leichter. Jetzt bloß nicht noch einen Fehler machen. Die grimmige Zöllnerin hat unseren ersten Fehlversuch schon mit einem lautstarken Schwall Russisch getadelt. Eine für europäische Verhältnisse arg vehemente Reaktion, wie ich finde. Aber an Grenzen weltweit gilt: Stoisch lächeln und alles ertragen, wenn man rüber will. Am Ende wird alles gut: Ein letzter Anschiss und dann wird Ihr Blick plötzlich milder und sie korrigiert resigniert unser Formular eigenhändig. Wenige Augenblicke später werden wir gnädig auf die Straßen der Russischen Föderation entlassen.

In Petershof, unserem heutigen Etappenziel, haben wir unsere nächste Konfrontation mit der Staatsmacht. Die Zufahrt zu „unserem“ Zeltplatz ist von Sicherheitskräften abgeriegelt. Putin tagt nebenan. Camping nicht möglich. Nach mehrstündiger Sucherei haben wir endlich eine Alternative gefunden, schlagen unser Zelt auf und fallen nach einem Wir-haben-es-geschafft-Drink schnell in den tiefen Schlaf der Gerechten.

Petershof gehört zu den top Touristenattraktionen Russlands. In der Theorie war uns das vorab klar, aber als wir die Menschenmassen live erblicken, wird uns dann doch ganz anders. Das müssen viele tausend sein, die an diesem Tag das gleiche machen wollen wie wir: Die Parks und Schlossanlage besichtigen. Stundenlang spazieren wir durch die weitläufigen Anlagen, die mit ihrem dekadenten, goldenen Prunk und vor allem den vielen phantasievollen Springbrunnen beeindrucken. Staunend beobachten wir die vielen jungen Hochzeitspaare, die von stramm getakteten Zeitplänen gehetzt mit jeweils ein oder zwei Fotografen von Foto-Spot zu Foto-Spot marschieren, um den großen Tag professionell für die Ewigkeit ablichten zu lassen.

Am nächsten Morgen führt unser Weg ins nahe Sankt Petersburg, wo wir erstmal beim örtlichen Triumphhändler vorbeischauen. Eine Inbusschraube mit rundgedrehtem Kopf, die uns am Bremsbelagswechsel hindert, ist der Anlass. An einem Samstag Morgen mitten in der Hochsaison lassen die Jungs alles stehen und liegen, um sich unseres kleinen Problemchens mit Begeisterung anzunehmen. Mir wird prompt klar, dass ich als Reisender in Deutschland schon anders erlebt habe und wo mir klipp und klar gesagt wurde: Erst die Stammkundschaft, dann der fremde Einmal-Kunde. Von wegen „da rollt der Rubel“, die Bezahlung für den VIP-Service wird von der Triumph-Crew vehement abgelehnt. Nicht mal ein Spende für die Kaffeekasse wird uns erlaubt.

Aber ein Erinnerungsfoto wünschen sie sich. Da machen wir doch gerne mit! Ein herzerfrischendes Erlebnis und ein guter Start für Sankt Petersburg. An letzterem zweifel ich eine Stunde später. Unser Hotelier behauptet, unsere Reservierung nicht zu kennen. Man könne uns nur ein schlechteres Zimmer zu einem deutlich höheren Preis anbieten. Die Verhandlungen sind zäh, da wir keine gemeinsame Sprache sprechen und die Gegenseite nicht gut kauderwelschen kann oder will. Aber gegen die Zollmatrone sind das hier keine Gegner und so ziehen wir nach einer Stunde tatsächlich in das „gute“ Zimmer zum gebuchten Preis ein.

Drei Tage durchstreifen wir St. Petersburg, das mit über 5 Millionen so viele Einwohner hat, wie die beiden größten deutschen Städte zusammen. Auferstehungskirche, Isaakskathedrale, Peter und Paul Festung, Eremitage, Nicolauskathedrale, die Navra und ihre Brücken, unzählige Kanäle und klotzige, historische Gebäude, wohin man schaut. Über unglaublich lange Rolltreppen geht es in den Untergrund, wo wir stundenlang Metro fahren und die prunkvollen Stationen der M1 Linie bestaunen.

Unser persönliches Highlight: Das Monument der heroischen Verteidigung Leningrads mit seinen überlebensgroßen Figuren, die sich dramatisch gegen den wolkenverhangenen Himmel abzeichnen und das Museum, in dem 900 Leuchten die Anzahl der Tage symbolisieren, die die Stadt von der Wehrmacht im zweiten Weltkrieg belagert wurde. Eine Million Menschen sind dabei alleine dem Hunger zum Opfer gefallen. Ein ergreifender Ort!

Pflichtpunkt für alle, die fremde Kulturen auch gerne durch typische einheimische Spirituosen entdecken: Das Wodka-Museum mit vielen liebevoll zusammen getragenen Devotionalien und Krimskrams. Für faire fünf Euro Eintritt bekommt man zudem noch drei „Wässerchen“ zum Probieren – inklusive einigen über Generationen erprobten, die Trinkfestigkeit steigernden Snacks.

Wer danach sein Erfahrungshorizont noch erweitern möchte, hat reichlich Auswahl: Gut 100 Wodkasorten mit vielen spannenden Geschmacksrichtungen stehen funkelnd und glitzernd in Reihe und Glied und rufen „Probier mich und sorge Dich nicht um den Rückweg ins Hotel“!

 

Um den Sommerbeginn herum ist hier oben Hochsaison wegen der „weißen Nächte“, in denen es nie richtig dunkel wird. Da wird rund um die Uhr gefeiert. Am längsten Tag des Jahres, den 21.06. verlassen wir St. Petersburg gen Osten. Die Nacht war kurz. Um Mitternacht haben wir bei dämmrigen Licht die Augen zugemacht und um 3.00 Uhr saßen wir senkrecht im Bett, weil im Café unter uns die russischen Schlager auf Discolautstärke aufgedreht wurden. Zu dem Zeitpunkt war es schon wieder taghell.

 

„Der Weg ist das Ziel“ - so abgegriffen dieser alte Slogan zuweilen erscheinen mag, für unsere Reise wird er zum treffenden Motto werden. Wir wollen nämlich „die Kola“ fahren – eine rund 1600 Kilometerlange Fernstraße, die von St. Petersburg zur namensgebende Kola-Halbinsel an der Barentssee führt.

Ein Panzerdenkmal markiert den Punkt, von dem aus die Offensive der roten Armee startete, die den Belagerungsring Leningrads sprengte. Wir biegen dort nach Schisselburg ab, wo wir weitgehend vergeblich versuchen, einen Blick auf die gleichnamige Burg zu erhaschen. Ein Kanal und ein dahinterliegender Damm verwehren die Sicht. Wir suchen uns eine Bank und picknicken bei grau verhangenem Himmel und mit Blick auf abgetakelte Schiffe und das wie schwarzes Öl wirkende Wasser des Ladogasees, der der größte Europas ist und den dennoch kaum einer in Deutschland als solchen benennen kann. Als eine Möwe einen Kack-Volltreffer auf mir landet, sehe ich das als Zeichen zum Aufbruch.

Die Kola fährt sich entspannt: Erstklassiger Asphalt und wenig Verkehr, auch wenn ein paar russische Raser zum dichten Überholen und Schneiden beim Wiedereinscheren neigen. Endlose Wälder und lange Geraden dominieren das Bild. Hin und wieder halten wir spontan an, um das ein oder andere Monument am Straßenrand in Augenschein zu nehmen, einen Kaffee zu trinken oder eine orthodoxe Kirche zu bewundern.

Am Abend regnet es sich ein. Ruckzuck sind wir triefend nass und froh, als ein Campingplatzschild in der grauen Suppe auftaucht. Der letzte Kilometer ist, wie so oft, eine Erd- und Sandpiste, die sich bei dieser Witterung mit Straßenreifen „interessant“ fährt. Was wir in den nächsten Tagen noch mehrfach erleben werden: Russische Campingplätze haben oft nichts gemein mit dem, was wir uns darunter vorstellen. Nicht zuletzt wegen der üblen Mückenplage um diese Jahreszeit, käme hier kaum jemand auf die Idee, zu zelten. Statt dessen bieten die Campingplätze in der Regel einfache Hütten an.

Bei einem Preis von 13 EUR für uns beide zusammen, brauchen wir angesichts des miesen Wetters nicht lange überlegen. Für 10 Cent extra bekommen wir einen elektro-chemischen Mückenkiller, den wir in die Steckdose stecken und der unser hölzernes Zuhause zuverlässig von der lästigen Brut freihält. Unser netter russischer Nachbar versichert gestenreich und um einige Brocken Englisch ergänzt, dass das Gift für Menschen unbedenklich sei.

Ein großes Schild am Straßenrand verkündet, dass wir in Karelien angekommen sind. Die Birke bleibt auch hier die dominierende Baumart. Dafür nimmt die Zahl der Seen und Flüsse weiter zu. Einige haben stattliche Breite und dennoch sagen uns ihre Namen rein gar nichts. Wie wenig wir doch über dieses gigantische Land wissen!

In Petrozavodsk, der Hauptstadt Kareliens entpuppt sich der vom GPS versprochen Campingplatz nach langem Suchen als verlassener, trister Parkplatz mit runtergekommenem Duschcontainer. Beim Anblick des Plan B fragen wir uns dann einige Minuten später allerdings, ob wir nicht vom Regen in die Traufe gekommen sind: Das Hostel ist in einem kleinen, inaktiven Teil einer abbruchreifen Industriehalle untergebracht. Die Eingangstür ist, wie so oft in diesem Land, aus Stahl und eine Überwachungskamera verfolgt unsere Ankunft.

Wie unterschiedlich doch die Wahrnehmungen sein können: Wir empfinden dies als dubios und das Parken unserer treuen Motorräder vor dieser schäbigen Absteige als Sicherheitsrisiko. So mancher Russe glaubt hingegen, bei uns daheim sei es derzeit weit gefährlicher. Mehrfach erzählen uns Russen, die sonst regelmäßig nach Westeuropa und Deutschland reisen, dass sie es derzeit nicht wagen aus Angst vor den üblen Flüchtlingen. Die russischen Medien zeichnen offenbar ein Schreckensbild.

 

Kareliens Hauptstadt hat wenig Charme. Die Uferpromenade entlang des Onegasees, der übrigens der zweitgrößte Europas ist, liegt im Dornröschenschlaf, obwohl es Ende Juni ist. Die wenigen Gäste im fest eingerichtete Vergnügungspark wirken verloren.

Nichtsdestotrotz gönnen wir uns eine Runde mit dem Riesenrad, die uns einen feinen Ausblick auf Petrozavodsk beschert. Eigentlich wollten wir am nächsten Tag noch einen Bootsausflug zur Insel Kizhi machen, einer der drei beliebtesten Touristenattraktionen Russlands, wie wir neulich in einer Fernsehreportage erfahren haben. Aber der Preis schreckt uns ab. Für zwei Personen muss man über 100 EUR blechen, was für lokale Preisverhältnisse extrem teuer ist.

 

Das Hostel hat eine Gemeinschaftsküche und wir damit eine komfortable Möglichkeit, uns mit etwas typisch russischem aus der Tiefkühltheke des gigantischen Supermarktes selber zu bekochen. 20 Sorten Vareniki (große Teigtaschen) stehen zu Auswahl, aber keine einzige davon scheint vegetarisch zu sein, wie uns eine hilfsbereite Verkäuferin bestätigt. Ihr Stirnrunzeln verrät allerdings, dass sie an dem Fakt nicht wirklich etwas auszusetzen findet. Am Ende werden wir dann noch in der ebenso großen Pelmini-Abteilung fündig: Dort gibt es neben einem Dutzend Fleisch-Varianten auch eine mit Pilzfüllung.

Beim Picknick am Straßenrand testen wir am nächsten Tag eine andere typisch russische Spezialität: Birkensaft im Tetrapack. „Interessant“ ist mein Votum, angesichts des vorwiegend nach Zucker schmeckenden Getränkes. Simon hingegen ist begeistert. Naja, zumindest ist es vegetarisch.

 

Spät abends, bei immer noch prallem Sonnenschein, suchen wir uns eine Lichtung zum Wildzelten. Kaum stehen die Kräder auf den Seitenständern, da fallen Heerscharen von kleinen Fliegen über uns her, unterstützt von Dutzenden von blutrünstigen Mücken und elenden Pferdebremsen. Ein Alptraum! Aber wir wollen es wissen und uns der Herausforderung bewusst stellen.

Mückennetzbewerte, breitkrempige Hüte auf und die Hände mit Autan eingerieben – nicht kleckern, sondern klotzen, heißt dabei die Dosierungsdevise. Und jetzt? Normalweise würden wir vorm Zelt sitzen, Wein und Wasser trinken und unser Abendessen kochen und verputzen. Mit dem Trinken und Essen ist es aber nun schwierig, um nicht zu sagen, fast unmöglich. Wie soll man die Sachen in den Mund bekommen, ohne das Netz zu heben und den niederträchtigen Plagegeistern, die in großer Zahl um den Kopf kreisen und auf dem Gitter lauern, den Eintritt zu ermöglichen?

Als wir später lesend im Zelt liegen, offenbart sich das nächste Problem: Eben nochmal schnell in der Unterhose austreten entpuppt sich als schmerzhafter Spießrutenlauf, bei dem ich mir bestimmt zwei Dutzend Stiche an meinen Beinen einfange, obwohl ich panisch alles Getier auf meinen nackten Beinen versuche totzuschlagen. Mücken klatschen, Nerven behalten und gleichzeitig ordentlich Pippi machen entpuppt sich zudem als Koordinationsherausforderung, der ich, offen gesagt, bei diesem ersten Anlauf nur suboptimal gewachsen bin.

So nervig sich das Szenario anhören mag, wir finden es spannend und abenteuerlich. Zum Glück ist die Stechtierplage nicht permanent so penetrant. In Kareliens Hauptstadt beispielsweise gab es kaum einen Moskito. Dafür fielen die Pferdebremsen kurz zuvor zu Dutzenden über uns her, kaum das wir am Straßenrand für einen Fotostopp gehalten hatten.

In der Theorie sollte man sumpfiges Land und stehende Gewässer meiden, um die Plage zu minimieren. Das ist in Karelien jedoch ein hoffnungsloses Unterfangen, da das Land aus fast nichts anderem zu bestehen scheint.

Auf dem Krad, bei voller Fahrt hat man seinen Frieden vor den kleinen Blutsaugern. Selbst mit offenem Helm fährt es sich angenehm und man hat Muse, die endlosen Wälder und die vielen Wasserflächen und -läufe zu genießen. Nur sporadisch zweigen Nebenstraßen zu Ortschaften ab.

Tankstellen tauchen in der Regel alle 80 km auf und verheißen mückenarme Pausen mit Kaltgetränken und Kaffee. Nur selten sehen wir andere Motorradreisende und wenn, dann stets mit russischen Kennzeichen. Umso erfreuter sind wir, als wir an einer Raststätte auf zwei Jungs von der FB-Fernweh-Gruppe treffen, die in Gegenrichtung unterwegs sind. Nach guter Fernreisendensitte werden Hände geschüttelt und wir palavern über das Woher und Wohin. Die beiden werden neben einem bayerischen Allradwohnmobil die einzigen nichtrussischen Reisenden bleiben, denen wir in 10 Tagen begegnen. Ein Fakt, der uns nicht betrübt, sondern eher mit dem schönen Gefühl erfüllt, etwas ungewöhnliches zu tun. Vielleicht ist es auch eben dieser Mangel an ausländischen Touristen, der die Herzlichkeit und Begeisterung vieler Begegnungen prägt. Nichtsdestotrotz ist die Kommunikation mit Einheimischen und ihr Verhalten für uns oft schwierig und gewöhnungsbedürftig.

Fremdsprachenkenntnisse sind rar und im restlichen Europa einheitliche Höflichkeitsstandards außer Kraft: Fremde scheint man hier nicht so ohne weiteres zu grüßen, selbst wenn wir den Anfang machen. Das hat mich auf Campingplätzen und in anderen Situationen schon mehrfach irritiert. Dabei tauten die Betroffenen in der Regel schnell auf, wenn man sich erstmal näher gekommen war. Nur eben der bei uns übliche Gruß zum Fremden scheint für viele unüblich zu sein. Vereinzelt reagieren auch Verkäuferinnen auf meine fehlenden Russischkenntnisse ungehalten, obwohl ich mir Mühe gebe, höflich und nett zu sein. Man muss in solchen Momenten dickfellig und beim Lächeln unermüdlich sein. Am Ende klappt die Kommunikation dann doch immer irgendwie mit Händen und Füßen und Kauderwelsch und ich bin noch nie mit leeren Händen aus einem „Magazin“ herausgekommen.

Bei Kem machen wir einen Abstecher von der Kola, der sich als Volltreffer entpuppt. Verfallene Fabriken, eine MIG zwischen Plattenbauten und viele schnuckelige Häuschen bieten Abwechslung vom Birkenwaldeinerlei. Die Massen von Holz, die sich vor den „Hütten“ stapeln, lassen erahnen, wie die Winter hier oben sind.

Bei Rabocheostrovsk kämpfen wir uns auf einer buckeligen und schlaglöchrigen Erdpiste bis zum weißen Meer durch, wo wir mal wieder erleben, was jeder Fernreisende kennt: Man campt wild an einer alles andere als tollen Stelle, weil man einfach nichts besseres findet und am nächsten Morgen, kaum dass man wieder unterwegs ist, sieht man ein traumhaftes Plätzchen, das man am Abend zuvor mit Kusshand genommen hätte.

Das Fleckchen Erde, auf dem wir hier gerade stehen ist genau so ein Fall, idyllisch gelegen, mit phantastischer Aussicht und zudem mit einer leichten Brise gesegnet, die Mücken in Schach hält. Kurz überlegen wir, bis zum Abend hier auszuharren, um diesen wundervollen Zeltplatz zu nutzen, entscheiden uns dann aber nicht nur aus zeitlichen Gründen dagegen, denn es ist ja gerade einmal 10.00 Uhr morgens. Die Nähe zu Kem und Rabocheostrovsk schreckt uns zudem ab – zu groß die Gefahr, dass dies an einem Samstag ein beliebter Ort für Open-Air-Trink-Gelage ist, in deren Mittelpunkt wir nicht zelten möchten.

Unser Frühstückspicknick genießen wir dennoch mit romantischem Ausblick aufs weiße Meer, dessen Name wir, ehrlich gesagt, noch nie gehört hatten, bevor wir mit der Planung dieser Tour begannen. Als Simon ihre Füße reinsteckt und mit eindeutigen Geräuschen die Temperatur signalisiert, bin ich mir sicher: Eis ist hier der Namensgeber für das WEISSE Meer gewesen.

Alte Fernreiseregel: Nie ohne Not bis zum letzten Tropfen fahren in tankstellenarmen Regionen. Wir schauen entgeistert auf die „нет“ Zettel an den Benzin-Zapfsäule. So langsam sickert die Nachricht ein: Die Tanke ist trocken und die nächste 100 km weit weg. Das sollte so gerade noch reichen. Sollte, eigentlich...

Am Marker des nördlichen Polarkreises ist ein Schnappschuss fürs Fotoalbum natürlich obligatorisch. Auf dieser Tour hat seine Definition übrigens eine besondere Relevanz: Es ist der Breitengrad, auf dem am Sommeranfang die Sonne so gerade nicht mehr untergeht. Auch wenn wir mittlerweile einige wenige Tage über die Mittsommernacht hinaus sind, heißt das für uns konkret: Ab jetzt haben wir pralle Sonne die ganze Nacht. Ein Phänomen, das für manchen ein Alptraum wäre. Wir finden es spannend und haben unsere Reise bewusst so terminiert, dass wir es „mit voller Wucht“ abbekommen. Dass unser Zelt nur einen sehr geringen Lichtfiltereffekt hat, verstärkt die Intensität des Erlebnisses noch zusätzlich. Wohnmobilreisende und Hotelschläfer haben es da besser, sprich dunkler, wenn sie möchten. Auch wir empfinden nächtliche Finsternis normalerweise angenehmer, aber für begrenzte Zeit erscheint es uns höchst spannend, uns diesem Extremphänomen zu stellen und auf diese Weise nicht nur geografisch unseren Horizont mal zu erweitern. Angenehmer Nebeneffekt: Es ist abends keine Eile geboten bei der Suche nach einem Lagerplatz und man kann selbst um Mitternacht noch ohne Kopflampe lesen.

Erkenntnis am Rande: unser Künzli-Kocher verbrennt dank seiner Hobobauweise und dem Kamineffekt jede Art von Stöckchen – auch triefend nasse. Die produzieren dann allerdings mächtig Rauch, was uns auf ordentlichen Campingplätzen schon mal verdrießliche Blicke biederer Nachbarn einbrachte. Im Mückenland ist der Effekt jedoch ein höchst willkommener und wir legen uns mit Absicht in den Qualm, um so den Quälgeistern zu entgehen. Das unsere Klamotten anderntags dann immer übelst stinken, erscheint uns ein vertretbarer Preis für die Erleichterung zu sein.

Mit dem Überqueren des Polarkreise haben wir übrigens auch fast gleichzeitig in die Provinz Murmansk gewechselt. In Karelien fehlte es gänzlich an Erhebungen, hier geht es nun auch mal sanft auf und ab, was der Perspektive förderlich ist und öfter durch eine sachte Kurve, was dem Fahrspaß zuträglich ist. Unser Pass-Rekord der gesamten Tour loggt sich auf dieser Etappe mit stolzen 281 Metern ein. Die Berge ringsum sind nur wenige hundert Meter höher, aber noch immer schneebedeckt.

Was für ein Kontrast: Tagelang geht es durch dichte, grüne Wälder und plötzlich wächst eine Smogglocke vor uns aus dem Boden, die einen Industriemoloch umgibt. Monchegorsk ist einer dieser Orte, an denen man ums Verrecken nicht leben und noch nicht mal begraben sein möchte. Beim Hindurchfahren können wir dennoch nicht leugnen, dass dieser Quell offensichtlicher Umweltverschmutzung eine perverse Faszination auf uns ausübt. Immer wieder kommt uns still das Wort „krass“ über die Lippen.

Gezielt steuern wir eine Geisterstadt einige Kilometer außerhalb an, von der wir übers Internet erfahren haben, stromern in den ausgeweideten Gebäuden rum und rätseln über ihr Schicksal und das ihrer Bewohner.

Murmansk ist mit rund 300.000 Einwohner die größte Stadt der Welt nördlich des Polarkreises. Vielleicht liegt es am grauen Himmel und den einstelligen Temperaturen, vielleicht an der schieren Masse von tristen Plattenbauten, vielleicht bilden wir uns die stumpfen Blicke und die lethargische Körperhaltung vieler Passanten auch nur ein. Aber diese Stadt wirkt so trostlos auf uns, wie keine andere, die wir je auf unseren Reisen gesehen haben. Dass sich die preiswerten Hotels, die wir uns online rausgesucht haben, alle als „Minihotels“ in Wohnungen von Plattenbauten erweisen, bei denen man die Kräder in Vierteln auf der Straße parken müsste, die auf uns wie Ghettos wirken, macht uns die Entscheidung leicht: Haken an Murmansk und bloß schnell weg hier.

 

Auf den letzten 200 km der Kola verändert sich die Landschaft dann nochmals. Teilweise geht es durch tundraartige Landschaft. Verkehr gibt es kaum noch. LKW sehen wir keinen einzigen.

Ein letztes Mal zelten wir wild in Russlands rauem Norden am Ufer eines stillen See. Die beiden Themen, die unsere Reise so besonders gemacht haben, verlieren hier an Bedeutung. Den Mücken ist es vermutlich zu kühl und die niemals untergehende Sonne ist angesichts des Regenwolken verhangenen Himmels graue Theorie.

Hier kannst Du Dir die GPS-Punkte unserer Kola-Highway-Tour runterladen.
Kola-Highway - Krad-Vagabunden.gpx
GPS eXchange File [14.5 KB]

In unseren Länderinfos Russland findest Du Informationen zu Visa, Fahrzeugeinfuhr, Werkstätten/Reifenbeschaffung, Straßenzustände, Sicherheitslage und vielem mehr.

ABENTEUER KAUKASUS -

eine Reise zu den höchsten Bergen Europas

Dieser Superlativ ist wie vieles im Kaukasus: kompliziert und strittig. All die regionalen Konflikte, die schwierige politische Lage und die damit einhergehenden bürokratischen Mühen für Besucher sind Gründe dafür, dass dieser wundervolle Teil der Erde weit davon entfernt ist, von Touristen überlaufen zu sein. Wer in Georgien, Armenien, Aserbaidschan und Russland unterwegs ist, darf sich noch vielerorts als Entdecker fühlen, ohne dass es an einfacher und vor allem preiswerter Infrastruktur für Individualreisende gänzlich mangeln würde.

Auf unserer sechsmonatigen Tour hat uns diese spannende Region an der Grenze von Europa zu Asien in ihren Bann gezogen mit grandioser Bergwelt, viel unberührter Natur, fremder Kultur, oftmals blutiger Geschichte und nicht zuletzt durch gastfreundliche Menschen, die sich über Fremde noch ehrlich freuen.

 

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© Frank Panthöfer